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Maren Lübbke-Tidow: "Verstehen vom anderen her" – Kuratieren als Gegenentwurf

15. Juli, 18:00 Uhr
Forschungsstation auf dem Lutherplatz

Mehr denn je sind wir von Bildern und Texten umgeben, von Kommentarleisten, Videoschnipseln, und von Fotografien im Zeitalter ihrer KI-gestützten Reproduzierbarkeit. Wie wohl nie zuvor kommentieren sie Zeitgeschehen ebenso wie persönliche Befindlichkeiten. Sie dokumentieren, sie emotionalisieren und spalten, oft genug „triggern“ sie in einer „veränderungserschöpften“ und von Krisen geschüttelten Gesellschaft, wie es der Soziologe Steffen Mau ausdrückt, die eigene „Bubble“.

Wie können wir vor diesem Hintergrund Ausstellungen entwickeln, die über Rhetoriken des Ankündigens, Einklagens und Forderns hinausgehen – und dennoch Stellung beziehen? Muss es nicht darum gehen, die anhaltenden Mechanismen der Polarisierung, die eben nicht nur unsere gegenwärtige gesellschaftliche Verfasstheit dominieren, sondern die auch in der Künstler*innenschaft angekommen sind, produktiv zu durchkreuzen? Mit anderen Worten: Wie können wir dem Anspruch an Differenz Rechnung tragen und also Ausstellungen konzipieren, die im besten Fall zu einer kritisch-diskursiven Auseinandersetzung zwischen Werk und Betrachterin anregen?

Im Vortrag werden zwei Ausstellungsprojekte vorgestellt, zwischen denen ein gutes Jahrzehnt liegt. Dem einen Projekt, Communitas I und II (2011 und 2012) ging die Beobachtung eines „Wucherns von Gemeinschaften“ voraus. Mit der Zunahme von „Communities“ verbunden waren Mechanismen, die Zugehörigkeiten und Ausgeschlossen-Sein definierten. Für das Ausstellungsprojekt bedeutete dies, Künstler*innen Raum zu geben, die mit ihren Arbeiten die Idee eines „Mit-Seins“ stark machten. Das zweite Projekt was zwischen uns steht (2025) versuchte die Idee eines „Verstehen vom anderen her “ im Sinne des Philosophen Emmanuel Levinas stark zu machen. Hier waren Projekte zentral, die dem Gegenüber mittels der eigenen Stimme Resonanz verliehen — nicht als alles übertönende Lautsprecher, sondern in der Reflexion darüber, wie jenseits der dominierenden Schemata der Vereindeutigung (wieder?) differenziert und zart erzählt werden kann.

Beide Projekte versuchten, einerseits auf die jeweilige gesellschaftliche Kondition – die von einer erschreckenden Kontinuität zeugt – zu reagieren und andererseits aktuellen künstlerischen Strategien Raum zu geben, die dazu einen kritischen Resonanzraum öffneten. Einen Schwerpunkt bildete außerdem ein erweiterter Gebrauch des Medium Fotografie.

Maren Lübbke-Tidow ist Kunsthistorikerin und arbeitet als freie Autorin und Kuratorin in Berlin. Seit 2021 ist sieKünstlerische Leiterin des biennalen Fotofestivals EMOP Berlin – European Month of Photography.
www.marenluebbketidow.com

 

Abb: Susanne Keichel, Berufsschüler*in I, Duisburg, 2023. Aus der Serie: Soziale Gerechtigkeit Teil II - Arbeit, 2023-24. C-Print, 60 x 40 cm.